Reizdarmsyndrom – eine Herausforderung für Patient und Mediziner


Beim Reizdarm handelt es sich um eine Funktionsstörung des Verdauungstraktes. Die damit einhergehenden Symptome wie Durchfall oder Blähungen treten meist nicht vorübergehend auf, sondern können Betroffene über Monate, Jahre oder sogar ein Leben lang begleiten. Der Leidensdruck der Patienten ist oft sehr hoch, da sie viele Untersuchungen und Arztbesuche hinter sich haben, bis letztendlich die richtige Diagnose gestellt wird.

Ist der Reizdarm als solcher erst einmal diagnostiziert, stehen Betroffene jedoch weiterhin vor einer Herausforderung. Denn Reizdarm ist derzeit nicht ursächlich behandelbar. Um die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu bessern, gilt es, mehrere Therapiemaßnahmen auszuprobieren. So stehen Betroffenen unter anderem Medikamente zur Verfügung, die in der Regel zunächst das Hauptsymptom angehen sollen. Da dieses von Patient zu Patient verschieden ist, stehen auch unterschiedliche Medikamente zur Verfügung: Beispielsweise können Spasmolytika (krampflösende Mittel) oder Laxanzien (Abführmittel) zum Einsatz kommen.

Darüber hinaus sollten Patienten die eigene Ernährung unter die Lupe nehmen und überprüfen, ob bestimmte Lebensmittel die Beschwerden verstärken und den Darm zusätzlich reizen. Außerdem ist es ratsam, mögliche Unverträglichkeiten abklären zu lassen (zum Beispiel gegen Laktose, Fruktose oder Sorbitol).

FODMAP-Diät: Bewährt bei Reizdarm

Die FODMAP-Diät kann Symptome wie Verstopfung, Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall lindern. Bewährt hat sich diese Ernährungsumstellung daher für Reizdarmpatienten. Unter anderem erhalten Betroffene während der Diät ein Gefühl dafür, welche Lebensmittel ihnen besonders viele Beschwerden bereiten. Prof. Dr. Storr erklärt im Experteninterview, welche Vorteile die FODMAP-Diät noch mit sich bringt.

Warum kommt es zum Reizdarm?


Ein Arzt untersucht im Labor die Mikroorganismen eines Darms für die Reizdarm-Diagnose.

Die zugrunde liegenden Ursachen des Reizdarmsyndroms sind trotz stetiger wissenschaftlicher Studien noch nicht in Gänze ermittelt. Forscher gehen sogar davon aus, dass verschiedene Einflüsse zur Entstehung der Funktionsstörung des Darms beitragen. Beispielsweise kommen folgende Ursachen infrage:

Bei einigen der genannten Auslöser ist bislang ungeklärt, ob sie tatsächlich Ursache oder vielleicht sogar Folge des Reizdarms sein könnten.

Interessant

Das Reizdarmsyndrom ist eine in Deutschland häufig auftretende Erkrankung: Mehr als 5 Millionen Menschen leiden daran. Dabei kann es jeden treffen, unabhängig vom Alter und Geschlecht. Allerdings haben Frauen vermehrt damit zu tun. Zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr sind es sogar doppelt so viele im Vergleich zu den Männern.2

Veränderung der Darmflora als Ursache für ein Reizdarmsyndrom?

Die Darmflora (medizinisch auch: intestinale Mikrobiota) beschreibt die Gesamtheit der ansässigen Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren) im Darm. Sie erfüllt lebenswichtige Aufgaben, da die Darmbesiedlung

  • zur Entwicklung und zum Erhalt des Immunsystems beiträgt,
  • gegen Krankheitserreger schützt und
  • die Verdauung unterstützt.3

Wie sich die Mikrobiota aufbaut, ist individuell verschieden. Bei jedem Menschen ist sie in etwa zu zwei Dritteln ähnlich, während sich das übrige Drittel stark unterscheidet. Die genaue Zusammensetzung der Darmbewohner ist unter anderem abhängig vom Lebensalter sowie den Ernährungsgewohnheiten.

Patienten mit Reizdarmsyndrom weisen zudem Veränderungen der Mikrobiota auf.2 Beispielsweise ist die Anzahl an Laktobazillen und Collinsella vermindert. Ob das allerdings Ursache des Reizdarms oder Folge davon ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Motilitätsstörungen: Wenn sich der Darm zu schnell oder zu langsam bewegt

Die Bewegung des Darms wird durch die Darmmuskeln ermöglicht und sorgt dafür, dass der Darminhalt kontinuierlich weiter Richtung Ausgang transportiert wird. Ist dieser Vorgang gestört, kommt es zur sogenannten Motilitätsstörung (Bewegungsstörung des Magen-Darm-Trakts).

Der Darm arbeitet dann entweder zu schnell oder zu langsam. Wird der Nahrungsbrei rascher weiterbefördert, entsteht oft Durchfall , weil der Darm nicht genügend Zeit hat, die noch zu verdauenden Bestandteile einzudicken. Ist der Transport dagegen verlangsamt, kann Verstopfung die Folge sein. Dem Nahrungsbrei im Darm wird bei der Verdauung zu viel Wasser entzogen, sodass der Stuhl eine zu feste Konsistenz annimmt und der Toilettengang erschwert stattfindet.

Wenn der Darm zu sensibel reagiert

Bei der sogenannten viszeralen Hypersensitivität ist die Reizschwelle im Darm erniedrigt. Er reagiert somit empfindlicher auf verschiedene Substanzen (Mikroorganismen, chemische Stoffe) oder auf Ausdehnung. Generell werden dabei zwei Phänomene unterschieden:

  • Bei der Hyperalgesie verspürt der Betroffene Schmerzen stärker als gewöhnlich.
  • Die Allodynie beschreibt eine Schmerzempfindung durch einen geringfügigen Reiz (wie Gase oder Ausdehnen des Darms), der bei Anderen zu keiner Reaktion führen würde.

Warum diese abnorme Reizwahrnehmung zustande kommt, ist bisher noch nicht geklärt. Möglicherweise ist dafür eine Fehlsteuerung im Nervensystem des Darms ("Bauchhirn") verantwortlich oder aber die Verarbeitung der Reize im zentralen Nervensystem, also dem "Kopfhirn". Eine Kombination aus beiden wäre ebenfalls denkbar. Dann funktioniert die Kommunikation zwischen den beiden Systemen nicht richtig, was beispielsweise eine verlangsamte oder beschleunigte Darmtätigkeit zur Folge haben kann.

Blähungen als Ursache?

Beim normalen Verdauungsvorgang entstehen große Mengen an Gasen. Diese werden normalerweise vom Darm in den Blutkreislauf abgegeben und über die Lungen abgeatmet. Ein Teil gelangt jedoch über den After nach draußen. Blähungen entstehen dann, wenn sich zu viel Gas im Darm befindet oder das Verdauungsorgan überempfindlich auf die Ausdehnung durch das Gas reagiert. Dies ist häufiger bei Reizdarm-Betroffenen zu beobachten und könnte eine mögliche Ursache sein.

Infekte des Darms

Ein postinfektiöser Reizdarm kann sich aus einer infektiösen Gastroenteritis (Schleimhautentzündung von Magen und Dünndarm) entwickeln. So weisen Patienten nach einer Infektion, beispielsweise mit Campylobacter oder Salmonellen, ein drei- bis zwölfmal höheres Risiko für die Entstehung eines Reizdarms auf.4 Dieses ist auch abhängig von der Schwere der vorangegangenen Entzündung und Toxizität (Giftigkeit) des Erregers.

Zu den Krankheitserregern, die einen postinfektiösen Reizdarm verursachen können, gehören vor allem:

  • Salmonellen
  • Camylobacter
  • Escherichia coli
  • Shigellen

Aber nicht nur die Infektionen selbst zählen als Risikofaktor für funktionelle Darmbeschwerden. Die Einnahme eines Antibiotikums zu ihrer Behandlung kann dem Magen-Darm-Trakt ebenfalls zusetzen und für einen längeren Zeitraum eine Reizdarmsymptomatik auslösen. Diese lässt in der Regel nach, sobald sich die normale Darmflora wieder eingestellt hat.

Die Psyche wirkt sich auf die Beschwerden aus

Körperliche Beschwerden und Psyche hängen mitunter eng zusammen – auch im Fall eines Reizdarmsyndroms spielt dies womöglich eine Rolle. So kann die Psyche Einfluss auf die Verdauung nehmen, wodurch sich körperliche Beschwerden verschlechtern oder stärker vom Betroffenen wahrgenommen werden. Stress und Ärger führen unter anderem dazu, dass sich die Bewegungen der Muskeln in Magen und Darm verändern. Infolgedessen wird der Speisebrei beispielsweise zu schnell transportiert und Bauchschmerzen, Krämpfe oder Durchfall entstehen. Als alleinige Ursache des Reizdarms reichen psychische Faktoren vermutlich jedoch nicht aus, sie beeinflussen die Symptome lediglich sekundär.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Oft kommt es vor, dass bei Reizdarm-Betroffenen auch Intoleranzen gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln vorliegen. Ob sie allerdings eine Ursache sind oder unabhängig von der Erkrankung auftreten, ist nicht eindeutig zu sagen. Wenn im Rahmen der Unverträglichkeit Bestandteile aus der Nahrung wie Milchzucker, Fruchtzucker, Sorbit oder Histamin nicht vertragen werden, kann das jedoch die Reizdarm-Problematik verschlechtern.

Faktoren, die den Reizdarm verstärken

Nicht immer leiden Reizdarm-Patienten gleich intensiv unter den Beschwerden. Oft variieren die vorhandenen Symptome, wechseln sich ab oder treten in unterschiedlichen Zeitintervallen auf. Es gibt einige Faktoren, die dazu führen, dass sich die Problematik verschlimmert. Dazu zählen:

  • Stress oder andere belastende Situationen
  • bestimmte Nahrungsmittel wie Milchprodukte
  • Medikamente (als Nebenwirkung)

Damit sich das Reizdarmsyndrom bessern kann, sollten Betroffene versuchen, die genannten Auslöser nach Möglichkeit zu meiden. Steht ein Medikament in Verdacht, die Beschwerden zu verstärken, ist das weitere Vorgehen mit dem behandelnden Arzt abzuklären.

Genetische Ursachen

Wissenschaftler der Universität Heidelberg deuteten bereits 2008 darauf hin, dass nervöse Störungen des Darms genetisch bedingt sein könnten.6 Diese Vermutung konnte 2016 in einer weiteren Studie teilweise bestätigt werden: Bei einigen der untersuchten Reizdarmpatienten fand sich ein bestimmter Gendefekt, der dazu führt, dass der Dünndarm nicht in der Lage ist, leicht verdauliche Kohlenhydrate wie Zucker zu verarbeiten, sie bleiben im Darm zurück.7

Daraufhin kommt es entweder zu einer Ansammlung der Kohlenhydrate, was eine Verstopfung zur Folge hat, oder der Körper transportiert zur Verdünnung der Nährstoffe Wasser in den Darm – mit Durchfall als Konsequenz.

Die Forschungsergebnisse sollen bei der Suche nach einer geeigneten Therapie helfen. Wird der Gendefekt nachgewiesen, können Betroffene beispielsweise ihre Ernährung umstellen.

Häufige Symptome bei Reizdarm erkennen


Das Reizdarmsyndrom geht mit den unterschiedlichsten Symptomen einher. Welche genau auftreten und wie stark diese sind, ist von Patient zu Patient sehr individuell und oftmals auch tageszeitabhängig. Zudem stellen die Symptome vor allem am Tag eine Belastung dar, während sie in der Nacht meist nachlassen beziehungsweise überhaupt keine Beschwerden auftreten.

Im Vordergrund der Erkrankung stehen Magen-Darm-Beschwerden wie:

Krankheiten , die ähnliche Symptome aufweisen können:

Weitere Beschwerden, die sich nicht auf den Magen-Darm-Trakt beziehen und bei Reizdarm vorkommen können, sind:

  • Neigung zu Rücken- und Kopfschmerzen (auch Migräne)
  • Gelenkbeschwerden
  • Schlafstörungen
  • Ängste und depressive Verstimmungen

Derzeit ist allerdings noch nicht geklärt, wie genau diese darmfernen Symptome mit dem Reizdarm in Verbindung stehen.

Welches Reizdarm-Symptom überwiegt? Einteilung in verschiedene Reizdarm-Typen


Die Beschwerde, welche beim jeweiligen Reizdarm-Erkrankten im Vordergrund steht, wird als Haupt- oder Leitsymptom bezeichnet. Anhand dessen lässt sich eine genauere Einteilung in vier verschiedene Reizdarm-Typen vornehmen:

Scroll Table
TypLeitsymptom
I – DiarrhoetypDurchfall
II – VerstopfungstypVerstopfung
III – MischtypDurchfall und Verstopfung im Wechsel
IV – Bläh- und SchmerztypBlähungen mit Abgang von Darmgasen und Schmerzen

Eine solche Zuordnung ist vor allem für die Behandlung nützlich, die sich immer auch am Hauptsymptom orientiert und dieses als erstes therapiert. Bei Durchfall kommen zum Beispiel andere Medikamente zum Einsatz als bei einer Verstopfung oder bei Blähungen. Die Therapie von Mischtypen muss häufiger angepasst werden, je nachdem welches der Symptome des Reizdarmsyndroms sich am stärksten zeigt.

Beim Arzt: Wie erfolgt die Diagnose des Reizdarmsyndroms?


Bei Verdacht auf die Darmerkrankung ist in der Regel der Hausarzt der erste Ansprechpartner. Er wird Sie für weitere Untersuchungen an einen Gastroenterologen (Facharzt für Erkrankungen des gesamten Magen-Darm-Traktes und der Leber) überweisen.

Im Rahmen der Diagnose steht zunächst ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch mit Fokus auf den vorliegenden Symptomen an. Auch wenn Ihnen die Fragen zur Stuhlkonsistenz unangenehm erscheinen, spielen sie eine wichtige Rolle, um der Erkrankung auf die Schliche zu kommen. Mithilfe der Bristol-Stuhlform-Skala (Übersicht über Form und Beschaffenheit des Stuhlgangs) kann der Arzt eine erste Einordnung vornehmen, wie weich oder fest Ihr Stuhl ist, und ob Durchfall oder Verstopfung vorliegen. All diese Informationen bieten einen ersten Anhaltspunkt für die weitere Diagnostik.

Nach dem Gespräch erfolgt eine körperliche Untersuchung. Dabei können nachstehende Methoden zum Einsatz kommen:

  • Abtasten des Bauchs
  • Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane
  • Atemtest, um Nahrungsmittelunverträglichkeiten aufzuspüren
  • Blutbild
  • Urin-Test
  • Stuhl-Mikrobiologie (vor allem bei Durchfall, um Erreger als Ursachen auszuschließen)
  • Darmspiegelung

Zusätzlich sollten Frauen den Gang zum Gynäkologen in Erwägung ziehen, um Störungen in der Gebärmutter oder den Eierstöcken auszuschließen.

Durch die umfangreichen Untersuchungen soll sichergestellt werden, dass keine anderen Magen-Darm-Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa vorliegen, die ähnliche Symptome aufweisen. Bisher gibt es keinen universellen Test, um das Reizdarmsyndrom zu diagnostizieren, da der Darm hierbei nicht krankhaft verändert ist. Ärzte können also beim Reizdarmsyndrom keine organischen Störungen wie Geschwüre, Zysten oder Tumoren feststellen. Deshalb handelt es sich bei der Feststellung des Reizdarms um eine Ausschlussdiagnose.

Wann liegt ein Reizdarmsyndrom vor?

Um die Diagnose Reizdarm zu stellen, sind nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) sowie der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) die drei folgenden Kriterien zu erfüllen:2

  • Die Beschwerden müssen chronisch sein, also mindestens über drei Monate bestehen und vom Arzt sowie vom Patienten auf den Darm bezogen werden. Die Reizdarmsyndrom-Symptome können mit einer Veränderung des Stuhlgangs (Durchfall und/oder Verstopfung) einhergehen, dies ist jedoch nicht zwingend der Fall.
  • Die Symptome sind deutlich spürbar, sodass sie die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Patienten empfinden die Beschwerden als sehr belastend und suchen deshalb Hilfe. Im Gegensatz dazu haben sogenannte Befindlichkeitsstörungen nichts mit einem Reizdarm zu tun, da sie nur leicht ausgeprägt sind und zeitweise auftreten, vor allem in bestimmten Situationen (bei Stress oder durch falsche Ernährung).
  • Es dürfen keine anderen Krankheiten vorliegen, welche die Beschwerden erklären.
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Tanja Albert Von der Schülerzeitung übers Journalismus-Studium in die Online-Redaktion von kanyo® - Tanja Albert hat das Schreibfieber gepackt. Gemischt mit ihrem Interesse für Ernährungs- und Gesundheitsthemen stürzt sie sich Tag für Tag in die medizinische Recherche - und bringt das Ganze auch in die Sozialen Netzwerke, nämlich als Social Media Managerin. Tanja Albert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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